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FAQ - Häufig gestellte Fragen ...

Welche Literatur empfiehlt sich zur Einführung in die Objektive Hermeneutik?

Zur Einführung in die Objektive Hermeneutik empfiehlt sich zunächst die Lektüre des auf dieser Webseite angebotenen >>Manifest der objektiv-hermeneutischen Sozialforschung.

OEVERMANN, ULRICH (2002): Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der objektiven Hermeneutik (Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung). Frankfurt am Main: Goethe-Universität. >>Download

Dieser Text ist programmatisch, leicht zugänglich und fasst prägnant die zentralen Besonderheiten der Methodologie zusammen. Ein weiterer grundlegender Text – historisch der erste größere und am meisten zitierte Beitrag zur Methodologie – ist: 

OEVERMANN, ULRICH; TILMAN ALLERT; ELISABETH KONAU & JÜRGEN KRAMBECK (1979): Die Methodologie einer 'objektiven Hermeneutik' und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: HANS-GEORG SOEFFNER (Hrsg.) Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart: Metzler, S. 352–434.

Allerdings entspricht dieser Text nicht mehr dem aktuellen Stand der Objektiven Hermeneutik. Die Methodologie hat sich seitdem erheblich weiterentwickelt. Viele neuere Darstellungen basieren dennoch weiterhin auf diesem alten Aufsatz – oft erkennbar an der Ebenenunterscheidung, die in der heutigen Forschungspraxis nicht mehr verwendet wird. Deshalb wird dringend empfohlen, sich auf neuere Primärtexte zu stützen. Der letzte Aufsatz von Ulrich Oevermann zur Methode ist der folgende:

OEVERMANN, ULRICH (2013): Objektive Hermeneutik als Methodologie der Erfahrungswissenschaften von der sinnstrukturierten Welt. In: PHIL C. LANGER; ANGELA KÜHNER & PANJA SCHWEDER (Hrsg.) Reflexive Wissensproduktion. Anregungen zu einem kritischen Methodenverständnis in qualitativer Forschung. (Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialpsychologie). Wiesbaden: Springer VS, S. 69–98.

Eine umfangreiche Liste weiterer Literatur findet sich in der auf dieser Internetseite bereitgestellten Literaturdatenbank. Die Datenbank erlaubt eine gezielte Abfrage mit Schlagworten oder Stichworten. Allerdings ist die Verschlagwortung nicht vollständig – eine systematische Suche sollte daher mit verschiedenen Suchkriterien erfolgen. Zudem ist die Datenbank lückenhaft, sodass bei einer vollständigen Recherche auch andere Quellen heranzuziehen sind. Die Datenbank erlaubt auch die Suche nach bestimmten Datentypen.

Um die praktische Anwendung der objektiv-hermeneutischen Prinzipien besser zu verstehen, sind Beispielanalysen sehr hilfreich. Eine zentrale Empfehlung ist:  

OEVERMANN, ULRICH (2001): Strukturprobleme supervisorischer Praxis. Exemplarische objektiv hermeneutische Sequenzanalyse zur Überprüfung der Professionalisierungstheorie. (Forschungsbeiträge aus der Objektiven Hermeneutik, Bd. 2. Hg. von ULRICH OEVERMANN; ROLAND BURKHOLZ; CHRISTEL GÄRTNER & FERDINAND ZEHENTREITER). Frankfurt am Main: Humanities online.

Weitere Beispielanalysen finden sich in Online-Archiven, die auf unserer Webseite verlinkt sind.

Die Objektive Hermeneutik zeichnet sich durch ein ungewöhnlich enges Verhältnis zwischen Methodologie und Konstitutionstheorie aus. Letztere beschreibt die konstitutiven Merkmale des Forschungsgegenstands – der „sinnstrukturierten Welt“ menschlicher Praxis – und begründet das methodische Vorgehen.

Eine zentrale Lektüre zur Konstitutionstheorie ist: 

OEVERMANN, ULRICH (2016): „Krise und Routine“ als analytisches Paradigma in den Sozialwissenschaften. In: ROLAND BECKER-LENZ, ANDREAS FRANZMANN, AXEL JANSEN & MATTHIAS JUNG (Hrsg.) Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 43–114. 

Wer die Objektive Hermeneutik anwenden möchte, sollte sich unbedingt auch mit diesen konstitutionstheoretischen Grundlagen auseinandersetzen. Begriffe wie „Fallstruktur“ erschließen sich erst dadurch vollständig.

Die Forschungspraxis der Objektiven Hermeneutik orientiert sich nicht an einem schematischen methodischen Prozedere, dem man mit einer Art Gebrauchsanleitung bloß buchstabengetreu Schritt für Schritt zu folgen braucht. Sinnrekonstruktion ist eine hochkomplexe Deutungspraxis, bei der es eher darauf ankommt, eine Reihe von methodischen Prinzipien dem Geiste nach durchgängig zu beherzigen. Einige dieser Prinzipien hat Oevermann in seinem oben genannten Text von 2013 benannt und erläutert. Sie explizieren zusammengenommen eine ästhetische Erkenntnishaltung, die bei der Forschungspraxis der Objektiven Hermeneutik einzunehmen ist. 

Das Verständnis der Objektiven Hermeneutik lässt sich nicht allein durch Lektüre erwerben. Eine eigene Analysepraxis ist entscheidend, um die komplexe Deutungspraxis und die ästhetische Erkenntnishaltung der Methode zu entwickeln.

Zur praktischen Vertiefung empfiehlt sich die Teilnahme an einer objektiv-hermeneutischen Interpretationswerkstatt. Eine Übersicht über Standorte bietet unsere Standortekarte.

Wichtig: Vorsicht bei Sekundärliteratur

Es existieren zahlreiche Handbuchartikel und Überblicksdarstellungen zur Objektiven Hermeneutik – viele davon von Autor:innen, die selbst nicht mit dieser Methode arbeiten. Einige Darstellungen enthalten gravierende Missverständnisse oder fehlerhafte Interpretationen.

Daher unsere klare Empfehlung:
Setzen Sie sich zunächst mit Primärliteratur auseinander und reflektieren Sie die Methode im direkten Anschluss an eigene praktische Analyseerfahrungen.

Trotz der Existenz elaborierter Methodentexte und anspruchsvoller konstitutionstheoretischer Entwürfe bleibt für die Objektive Hermeneutik die analytische Forschungspraxis führend. Zwar wird das methodische Vorgehen durch konstitutionstheoretische Überlegungen explizit begründet und gerechtfertigt. Aber diese bleiben nur Rekonstruktions- und Explikationsversuche zu einer Forschungspraxis, die aus sich heraus in ihrem konkreten Vollzug überzeugen muss. Denn wie kaum eine andere sozialwissenschaftliche Methodentradition gründet die Objektive Hermeneutik ihre Forschungspraxis auf einer ästhetischen Erkenntnishaltung. Was dies bedeutet, wird zwar in Methodentexten zu rekonstruieren und zu explizieren versucht. Die Forschungspraxis geht jedoch in ihrer Komplexität grundsätzlich darüber hinaus. Anders formuliert, die Methodentexte bleiben in ihrer Explikationsleistung notgedrungen dahinter zurück. Erst recht können sie nicht die zahlreichen möglichen Missverständnisse ausschließen, die ins Spiel kommen, wenn Personen Methodentexte abstrakt rezipieren, denen die lebendige Erfahrung mit einer Forschungspraxis auf der Basis einer ästhetischen Erkenntnishaltung fehlt.

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